Sie gilt als "unsentimental und unbestechlich", ihre Haltung zur Nazivergangenheit Deutschlands und Österreichs ist eindeutig. Für die in Wien geborene und 1947 in die USA emigrierte Ruth Klüger gibt es kein Verzeihen. Die jüdisch-amerikanische Holocaustüberlebende hat erst im Alter die große Öffentlichkeit gesucht und gefunden. Mit vielen Preisen geehrt, wird Klüger am Sonntag 85 Jahre alt.
"Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung", sagte Klüger einmal der APA. Und: "Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist." Zu groß waren und sind die Enttäuschungen, die Kränkungen, die Trauer um von den Nazis getötete Menschen. Als "ein kleines Stück Wiedergutmachung" bezeichnete der damalige Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) dann auch die Würdigung Klügers mit dem Ehrendoktorat der Universität Wien im Vorjahr. Die fand abermals kritische Worte für die Stadt, die sie vertrieben hatte, eine "Schaukel zwischen Ressentiment und Versöhnungsversuch, aber auf jeden Fall ein unlösbarer Knoten".
Klüger wurde am 30. Oktober 1931 als Tochter eines jüdischen Frauenarztes in Wien geboren. Im September 1942 deportierten sie die Nazis mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz-Birkenau und schließlich nach Christianstadt. Die Gefangenschaft hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt. Als damals zwölfjähriges Kind dichtete sie im Vernichtungslager Auschwitz: "Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein." Auf einem Todesmarsch von Lager zu Lager gelang ihr mit ihrer Mutter die Flucht.
Nach Kriegsende lebten Mutter und Tochter zunächst in Straubing in Bayern. 1947 emigrierten sie in die USA. In New York und in Berkeley im US-Bundesstaat Kalifornien studierte Klüger Bibliothekswissenschaften und Germanistik, wurde Expertin für mittelalterliche Literatur, Hochschullehrerin und Literaturkritikerin. Jahrzehnte lang hat Ruth Klüger nur als Wissenschafterin publiziert. Erst als sie Ende der 1980er-Jahre bei einem Verkehrsunfall in Göttingen lebensgefährlich verletzt wurde, begann sie, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben.
"weiter leben - eine Jugend" wurde der erfolgreiche Start einer späten Karriere als Literatin. In der 1992 veröffentlichten Biografie (die 2008 als Gratisbuch in 100.000 Exemplaren in Wien verteilt wurde) schildert sie ihre Kindheit in Wien, ihre Jugend in den Konzentrationslagern und die Nachkriegszeit in Bayern, in "unterwegs verloren" (2008) ihre Lebensgeschichte nach der Emigration in den USA. Zu den bekanntesten weiteren Werken Klügers zählen "Frauen lesen anders" (1996), "Katastrophen. Über deutsche Literatur" (1997) und "Was Frauen schreiben" (2010). Unter dem Titel "Zerreißproben" (2013) versammelte sie erstmals ihre seit 1944 entstandenen Gedichte.
Die Fiktion ist nicht ihr Genre. "Ich hab's mehrmals versucht, aber ich kann keine G'schichterln erzählen. Es ist ein ganz besonderes Talent, und je öfter ich es versuche, desto mehr bewundere ich die Romanciers und Geschichtenschreiber", umschrieb sie ihre Vorliebe fürs Autobiografische und Sachliche. Dass sie bei ihren Reden als "Holocaustüberlebende" vorgestellt wird, stört sie nicht. Was sie stört, ist das aus ihrer Sicht sprachlich schiefe Bild des berühmten Brecht-Zitats "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" über die Gefahr einer wiederaufkommenden Barbarei. Der Faschismus sei Männersache gewesen. "Die Machthaber waren alles Männer. Deswegen soll man nicht von einem Schoß sprechen. Die Metapher stört die Germanistin."
Ruth Klüger lebt heute abwechselnd in Irvine im US-Bundesstaat Kalifornien und im deutschen Göttingen. Zu ihren zahlreiche Auszeichnungen zählen der Österreichische Staatspreis für Literaturkritik (1997), der Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (2001), die Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen (2003), der Roswitha-Preis (2006), der Lessing-Preis (2007) und der Theodor-Kramer-Preis (2011).
Quelle: Göttingen (APA/dpa)
"Wir Überlebende sind nicht zuständig für Verzeihung", sagte Klüger einmal der APA. Und: "Ich halte Ressentiment für ein angebrachtes Gefühl für Unrecht, das nicht wiedergutzumachen ist." Zu groß waren und sind die Enttäuschungen, die Kränkungen, die Trauer um von den Nazis getötete Menschen. Als "ein kleines Stück Wiedergutmachung" bezeichnete der damalige Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) dann auch die Würdigung Klügers mit dem Ehrendoktorat der Universität Wien im Vorjahr. Die fand abermals kritische Worte für die Stadt, die sie vertrieben hatte, eine "Schaukel zwischen Ressentiment und Versöhnungsversuch, aber auf jeden Fall ein unlösbarer Knoten".
Klüger wurde am 30. Oktober 1931 als Tochter eines jüdischen Frauenarztes in Wien geboren. Im September 1942 deportierten sie die Nazis mit ihrer Mutter ins KZ Theresienstadt, dann nach Auschwitz-Birkenau und schließlich nach Christianstadt. Die Gefangenschaft hat sie nach eigenen Worten auch durch die Liebe zur Lyrik überlebt. Als damals zwölfjähriges Kind dichtete sie im Vernichtungslager Auschwitz: "Fressen unsere Leichen Raben? / Müssen wir vernichtet sein? /Sag, wo werd ich einst begraben? / Herr, ich will nur Freiheit haben / und der Heimat Sonnenschein." Auf einem Todesmarsch von Lager zu Lager gelang ihr mit ihrer Mutter die Flucht.
Nach Kriegsende lebten Mutter und Tochter zunächst in Straubing in Bayern. 1947 emigrierten sie in die USA. In New York und in Berkeley im US-Bundesstaat Kalifornien studierte Klüger Bibliothekswissenschaften und Germanistik, wurde Expertin für mittelalterliche Literatur, Hochschullehrerin und Literaturkritikerin. Jahrzehnte lang hat Ruth Klüger nur als Wissenschafterin publiziert. Erst als sie Ende der 1980er-Jahre bei einem Verkehrsunfall in Göttingen lebensgefährlich verletzt wurde, begann sie, ihre Lebensgeschichte niederzuschreiben.
"weiter leben - eine Jugend" wurde der erfolgreiche Start einer späten Karriere als Literatin. In der 1992 veröffentlichten Biografie (die 2008 als Gratisbuch in 100.000 Exemplaren in Wien verteilt wurde) schildert sie ihre Kindheit in Wien, ihre Jugend in den Konzentrationslagern und die Nachkriegszeit in Bayern, in "unterwegs verloren" (2008) ihre Lebensgeschichte nach der Emigration in den USA. Zu den bekanntesten weiteren Werken Klügers zählen "Frauen lesen anders" (1996), "Katastrophen. Über deutsche Literatur" (1997) und "Was Frauen schreiben" (2010). Unter dem Titel "Zerreißproben" (2013) versammelte sie erstmals ihre seit 1944 entstandenen Gedichte.
Die Fiktion ist nicht ihr Genre. "Ich hab's mehrmals versucht, aber ich kann keine G'schichterln erzählen. Es ist ein ganz besonderes Talent, und je öfter ich es versuche, desto mehr bewundere ich die Romanciers und Geschichtenschreiber", umschrieb sie ihre Vorliebe fürs Autobiografische und Sachliche. Dass sie bei ihren Reden als "Holocaustüberlebende" vorgestellt wird, stört sie nicht. Was sie stört, ist das aus ihrer Sicht sprachlich schiefe Bild des berühmten Brecht-Zitats "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" über die Gefahr einer wiederaufkommenden Barbarei. Der Faschismus sei Männersache gewesen. "Die Machthaber waren alles Männer. Deswegen soll man nicht von einem Schoß sprechen. Die Metapher stört die Germanistin."
Ruth Klüger lebt heute abwechselnd in Irvine im US-Bundesstaat Kalifornien und im deutschen Göttingen. Zu ihren zahlreiche Auszeichnungen zählen der Österreichische Staatspreis für Literaturkritik (1997), der Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (2001), die Ehrendoktorwürde der Universität Göttingen (2003), der Roswitha-Preis (2006), der Lessing-Preis (2007) und der Theodor-Kramer-Preis (2011).
Quelle: Göttingen (APA/dpa)