Im Jahr 2019 wurden von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien (IKG) und dem Forum gegen Antisemitismus insgesamt 550 antisemitische Vorfälle erfasst. Das entspricht einem Anstieg um 9,5 Prozent binnen zwei Jahren. „Ich will nicht von alarmierenden Zahlen reden, denn besorgniserregend ist die Entwicklung bereits seit vielen Jahren“, sagt IKG-Präsident Oskar Deutsch.
(Hier können Sie den vollständigen Bericht auch downloaden.)
Erfasst wurden sechs physische Angriffe, 18 Bedrohungen, 78 Sachbeschädigungen, 209 antisemitische Massenzuschriften und 239 Fälle von verletzendem Verhalten. Alle gewerteten Fälle erfüllen die Kriterien der Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), die wörtlich lautet:
»Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.«
Präsident Deutsch betont: „Das Judentum gehört zu Österreich wie die Milch in die Melange. Das wissen auch die meisten Menschen in unserem Land. Leider gibt es aber eine steigende Zahl an Personen, die Antisemitismus schüren und schließlich auch viele die zur antisemitischen Tat schreiten.“ Einerseits sei Wien auch für Jüdinnen und Juden eine besonders lebenswerte Stadt, und außerdem trägt die Zusammenarbeit mit Polizei, Verfassungsschutz und Innenministerium sowie die professionelle Sicherheitsarbeit der IKG selbst zu einem hohen Maß an Sicherheit bei. Deutsch: „Aber die Beamten und Sicherheitskräfte können ja nicht überall sein. Das gesellschaftliche Ziel muss sein, dass wir ohne umfassende Schutzmaßnahmen auskommen. Leider ist dieses Ziel in weiter Ferne.“
Internationale Zusammenarbeit
Bei der Kategorisierung der Vorfälle orientiert sich die IKG an internationalen Standards. Beispielgebend sind etwa die Partnerorganisationen im Vereinigten Königreich (CST) und in Deutschland (RIAS). „Diese Anpassung an internationale Standards ermöglicht erstmals über Ländergrenzen hinweg aussagekräftige Vergleiche zu anderen Berichten sowie einen noch engeren Austausch mit jüdischen Gemeinden in Europa sowie mit EU-Behörden“, stellt IKG-Generalsekretär Benjamin Nägele fest. „Der vorliegende Bericht muss weiterer Ansporn sein, eine holistische nationale als auch europäische Strategie gegen Antisemitismus zu erarbeiten und diese zügig umzusetzen. Wir dürfen keine weitere Zeit verlieren.“'
Oskar Deutsch: „Als jüdische Gemeinde können wir zum Kampf gegen Antisemitismus beitragen, ihn aber nicht alleine führen.“ Es sei im Interesse des gesamten Landes und der Europäischen Union, Judenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten. Im Regierungsprogramm fänden sich in diesem Zusammenhang einige Hoffnung machende Ansätze.
Ideologische Hintergründe
Nach Differenzierung verlangt die Auswertung der weltanschaulichen oder religiösen Milieus von Tätern und Täterinnen. 226 der 550 Vorfälle sind keinem ideologischen Hintergrund zuordenbar, während 268 Mal ein der gesellschaftspolitisch Rechten, dem Rechtsextremismus sowie dem (Neo-)Nazismus zuzuordnender Background nachweisbar war. Dagegen handelte es sich in 31 Fällen um Personen, die weltanschaulich bzw. religiös dem politischen Islam zuzuordnen sind. 25 Täter sind einer politisch linken oder linksextremistischen Gesinnung zuzuordnen (z.B. „Globalisierungskritik“ oder „Israelfeindlichkeit“). Das Übergewicht an rechts motivierten Vorfällen besteht vor allem in den Kategorien Sachbeschädigung und „Verletzendes Verhalten“. In Kategorien mit besonders hohem Gefährdungspotenzial (physische Angriffe und Bedrohungen) ist wiederum muslimischer Antisemitismus auffällig.
Sollten Sie Zeuge eines antisemitischen Vorfalls geworden sein, melden Sie diesen bitte unter 01/ 531 04–261 oder per E-Mail an meldung@IKG Wien.at