Kampfbegriff „Islamophobie“

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Bereits zum zweiten Mal haben die österreichischen Politikwissenschaftler Farid Hafez und Enes Bayraklı den sogenannten European Islamophobia Report (EIR) herausgegeben. Auf 612 Seiten wurden für das Jahr 2016 insgesamt 27 Länderberichte alphabetisch geordnet aneinandergereiht. Die Herausgeber versuchen dabei, ihrem Konvolut einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben, aber auch für den EIR 2016 trifft zu, was Gernot Bauer im profil bereits am EIR des Jahres 2015 kritisiert hatte: ein pseudowissenschaftlicher Report, der eine politische Agenda verfolgt. Mit einer seriösen wissenschaftlichen Bestandsaufnahme oder gar Forschung hat das Ganze nichts zu tun.


Das beginnt bereits bei der Definition des Untersuchungsgegenstandes „Islamophobie“. Bis heute haben weder der „Islamophobieforscher“ Hafez noch andere Vertreterinnen und Vertreter dieses Begriffs, eine konsistente, nachvollziehbare und wissenschaftlich brauchbare Definition für „Islamophobie“ geliefert. Mit dem Begriff „Islamophobie“ wird vielmehr versucht, zwei Phänomene in einem Begriff zusammenzufassen: Feindschaft gegenüber allen Muslimen und Religionskritik. Der Terminus differenziert nicht zwischen ressentimentbeladener Hetze und der Aufklärung verpflichteter Kritik an der Religion. Er entpuppt sich somit als Kampfbegriff, der durchgängig dazu genutzt wird, Kritik am Islam oder an Problemen und Menschenrechtsverletzungen innerhalb muslimischer Communities abzuwehren und als „anti-muslimischen Rassismus“ zu etikettieren. Das führt dazu, dass kritische Geister wie etwa der algerische Schriftsteller Kamel Daoud, der Berliner Psychologe und Autor Ahmad Mansour und weitere seriöse Wissenschaftler/innen, Journalistinnen und Journalisten im EIR 2016 als „islamophob“ denunziert und damit in die gleiche Ecke gestellt werden wie Rechtspopulisten, Rechtsradikale und Rassisten.

Keinerlei wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit

Im Vorwort schreiben die Herausgeber, der EIR sei eine qualitative, keine quantitative Studie (S. 7). Gleichzeitig betonen sie jedoch, ihr Endziel sei die Beobachtung der Entwicklung von „Islamophobie“ in allen europäischen Ländern, die, wie der aktuelle Report deutlich zeige, in allen gesellschaftlichen Bereichen auf dem Vormarsch sei (S. 5). Diese Behauptung ließe sich seriös aber nur in einer quantitativen Studie über einen längeren Zeitraum hinweg erfassen. Doch das ist nur ein kurioser Widerspruch am Rande. Der European Islamophobie Report 2016 ist weder eine quantitative noch eine qualitative Studie; zu einer Studie fehlen ihm schlicht die wesentlichen Kriterien und Voraussetzungen, die eine solche auszeichnen.

Das Einzige, was klar festgelegt wurde, ist der Untersuchungszeitraum, nämlich das Jahr 2016. Die Herausgeber haben sich an keiner Stelle die Mühe gemacht, die von ihnen angewandten Methoden zu erläutern oder die Kriterien zu beschreiben, anhand derer die von ihnen geschilderten „Fälle“ ausgewählt wurden. Kurz: Dem EIR 2016 fehlt genau das, was in der wissenschaftlichen Forschung seit spätestens dem 16. Jahrhundert Usus ist: Die Nachvollziehbarkeit seiner Ergebnisse. Genau genommen liefert er nicht einmal Ergebnisse, sondern bleibt auf der Stufe der willkürlichen Beobachtung und damit der bloßen Behauptung stehen.

Sammelsurium von Anekdoten

Letzteres zeigt der vom Herausgeber Farid Hafez persönlich verfasste Österreich-Teil exemplarisch. Der Bericht besteht aus 22 Seiten Text zusätzlich einiger Bilder. Beim Text handelt es sich um eine Aneinanderreihung von Anekdoten, die auf verschiedene Rubriken verteilt sind: Arbeitsplatz, Ausbildung, Politik, Medien, öffentliche Sphäre, Justiz, sowie physische und verbale Attacken. Rund drei Seiten füllen bloße Auflistungen von nicht überprüfbaren Einzelfällen im Stile von „A native-born Austrian is told at the job centre in Graz that she should take off her headscarf, so that she can find a job more easily.” (S. 34f.) oder „A woman in hijab crosses the street when a person shouts from a standing car ‚You rag!‚“ (S. 55). Als Quelle wird im ersten Fall „Email to the Author” und im zweiten Fall gar nichts angegeben. Ähnliches gilt für die im Bericht abgedruckten Fotos von Graffitis oder Aufklebern mit rassistischen Sprüchen: Der Autor hat leider durchwegs darauf verzichtet, überprüfbare Quellen anzugeben, also etwa die Bilder mit genauen Orts- und Datumsangaben zu versehen und somit an sich interessante und wichtige Informationen – zumindest für die Forschung – unbrauchbar gemacht.

Auch die übrigen 19 Seiten ergehen sich in willkürlichen und teils verwirrenden Aufzählungen von als „islamophob“ klassifizierten Handlungen oder Aussagen. So besteht die Rubrik Medien, um ein Beispiel herauszugreifen, aus einer Aneinanderreihung von Auszügen aus 28, vom Autor als „islamophob“ bezeichneten Artikeln aus österreichischen Zeitungen und Magazinen. Nun stellt sich die Frage: Ist das alles, was der Autor im Jahr 2016 gefunden hat, ist das eine Stichprobe oder sind das nur jene Artikel, die ihm bei gelegentlichen Kaffeehausbesuchen zufällig über den Tisch gelaufen sind? Es ist schlicht nicht erkennbar, ob hier systematisch gearbeitet wurde und wenn, nach welcher Systematik, oder ob willkürlich übers Jahr verteilt 28 Artikel gesammelt wurden, um sie später einmal für den Report zu verwenden. Die anderen Rubriken sehen nicht viel anders aus.

Steckt dahinter Unvermögen, eine beeindruckende Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Standards oder verfolgen die Herausgeber ein anderes, nicht-wissenschaftliches Ziel? Beim Lesen des Österreich-Teils kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, Hafez gehe es in erster Linie um die Denunziation von all denjenigen, die sich auch nur irgendwie kritisch gegenüber dem Islam, einzelnen muslimischen Communities, islamischen Staaten oder Organisationen äußern. Kritik an sich ist es, die hier als „islamophob“ und damit als rassistisch gewertet wird. Ohne Kontextualisierung und ohne jede Erklärung, inwiefern die verwendeten Zitate Ausdruck von „Islamophobie“ und Rassismus seien, werden über die Seiten hinweg Menschen aus Politik, Medien und Wissenschaft ins rechte Eck gestellt.

Dabei macht sich Farid Hafez oft nicht einmal die Mühe, überhaupt Belege für seine Behauptungen anzuführen. Der ehemalige grüne Bundesrat Efgani Dönmez etwa wird ohne jede Begründung, ohne auch nur ein Beispiel anzuführen, als eine Person bezeichnet, „who regularly makes Islamophobic statements“ (34).

Ähnlich geht Hafez auch bei der Standard-Journalistin Lisa Nimmervoll vor. Unter den von ihr im Jahr 2016 Interviewten befanden sich auch drei Autoren (Ahmad Mansour, Hamed Abdel-Samad und Heiko Heinisch), die Hafez ohne jede weitere Erklärung als „key players“ bezeichnet, „who voice generalising and racist discourse on Islam“ (45). Da, so der geradezu infantile Schluss von Hafez, eine Journalistin Menschen interviewt, die von ihm als „rassistisch“ eingestuft werden, macht sie sich schuldig, dem „islamophoben“ Diskurs eine Bühne zu bieten. Auch hier bleibt Hafez auch nur den leisesten Hauch einer Begründung oder gar eines Beweises für seine Behauptung schuldig, die von ihm Genannten beförderten einen generalisierenden und rassistischen Diskurs. Dass Lisa Nimmervoll eine ganze Reihe weiterer Personen mit unterschiedlichsten Positionen zu den verschiedensten Themen interviewte, kurz, ihrem Job nachgeht, sei hier nur nebenbei erwähnt. Die Liste der Journalistinnen und Journalisten, die vom Autor in ähnlicher Weise denunziert werden, ist lang. Zu ihnen gehören etwa Hans Rauscher, Martina Salomon, Peter Michael Lingens und Andreas Koller.


Lieblingsfeind Aslan


Farid Hafez‘ Lieblingsfeind im Bereich Wissenschaft ist, wie schon im vergangenen Jahr, Professor Ednan Aslan. Im EIR 2015 wurden Aslan im Österreich-Teil zwei von 18 Seiten gewidmet und auch im EIR 2016 tauchen er und seine Forschung an verschiedenen Stellen immer wieder als Beispiel für „Islamophobie“ auf. Dass ausgerechnet ein Professor für islamische Religionspädagogik und Leiter des Instituts für Islamische Studien der Universität Wien derart in den Fokus gerät, erklärt sich aus Aslans kritischer Haltung gegenüber den Islamverbänden, aus den Ergebnissen der von ihm geleiteten Kindergartenstudie, die im EIR immer wieder erwähnt wird, und aus seiner Befürwortung des Islamgesetzes. Seit Jahren schießt sich vor allem die Muslimische Jugend Österreichs (MJÖ), aus der auch Farid Hafez hervorgegangen ist, auf Aslan ein. Das ehemalige MJÖ-Vorstandsmitglied Dudu Küçükgöl bezeichnete ihn mehrfach öffentlich als „Hausmuslim“. Der Versuch, aus Ednan Aslan eine zentrale Gestalt der „Islamophobie“ im Wissenschaftsbereich zu machen, kann nur als Fortsetzung dieser Kampagne begriffen werden.

Ist das alles Größenwahn, gnadenlose Überschätzung der eigenen Person als unhinterfragbare Instanz in Sachen „Islamophobie“? Man könnte einfach nur mit dem Kopf schütteln und die Sache nicht weiter ernst nehmen, wäre da nicht der Umstand, dass Farid Hafez offenbar Unterstützer in der SPÖ und dadurch im Europaparlament hat: Der Europaabgeordnete Josef Weidenholzer (SPÖ) hatte Farid Hafez mit dem EIR 2015 im vergangenen Jahr ins EU-Parlament in Brüssel eingeladen. Auch in Wien durfte er den Report unwidersprochen im Haus der europäischen Union vorstellen.

Von besonderer Perfidie ist Hafez‘ Versuch, im EIR 2016 eine Gesinnungsgemeinschaft zwischen der Israelitischen Kultusgemeinde und der FPÖ zu suggerieren. An der entsprechenden Stelle leugnet er nicht nur implizit, dass ein Antisemitismus-Problem in islamischen Staaten und Communities existiert, sondern geht soweit, die Jüdische Gemeinde in die Nähe der FPÖ zu rücken, weil beide, unabhängig voneinander, im Jahr 2016 je eine Veranstaltung zum Thema Islamischer Antisemitismus organisiert hätten: „The FPÖ, as well as the official Jewish Community, have both separately organised events in which the so-called ‚Islamic anti-Semitism‘ was discussed.“ (37).

Dem grünen Nationalratsabgeordneten Peter Pilz wiederum hat seine Kritik an Erdogan-Anhängern in Wien einen Eintrag im Islamophobia Report beschert. Wer eine Erklärung dafür erwartet, was Kritik am türkischen Nationalismus, am türkischen Präsidenten und seinen Anhängern mit dem vorgeblichen Thema des EIR zu tun hat, wird enttäuscht. Es bleibt bei einer bloßen Unterstellung. Religion/Islam spielte in den Aussagen Pilz‘ keinerlei Rolle. Hier offenbart Farid Hafez vielmehr, wem er sich verpflichtet fühlt. Der European Islamophobia Report wird vom türkischen AKP-nahen Thinktank SETA (Foundation for Political, Economic and Social Research) finanziert und veröffentlicht. Gründer und langjähriger Direktor von SETA ist kein geringerer als Ibrahim Kalin, stellvertretender Generalsekretär und Sprecher des türkischen Präsidialamtes, also Erdogans Sprecher. Erdogan selbst fiel schon mehrfach dadurch auf, dass er Kritik an seiner Politik, an seiner Haltung zur Armenien-Frage oder an der Türkei allgemein als „islamophob“ bezeichnete.


Ein Kampfbegriff des organisierten politischen Islam


„Islamophobie“ ist ein Kampfbegriff politisch-islamischer Organisationen, von der türkischen AKP bis zur Muslimbruderschaft – das zeigt auch der European Islamophobia Report. Die anfangs kritisierte Verquickung von rassistischem Ressentiment und Kritik am Islam hat dabei durchaus System, dient sie doch dazu, Gegner jeglicher Couleur als Rassisten zu denunzieren und damit für nicht diskursfähig zu erklären. Mittels „Islamophobie“-Vorwurfs wird versucht, Deutungshoheit über die Islam-Diskurse zu erlangen.

Organisationen, die den Begriff „Islamophobie“ im Namen führen, können fast ausnahmslos dem organisierten politischen Islam zugerechnet werden, wie etwa das französische Collectif contre l’Islamophobie en France (CCIF), das dem europäischen Netzwerk der Muslimbruderschaft nahesteht. Passend, dass die Herausgeber Farid Hafez und Enes Bayraklı für den Frankreich-Bericht des EIR ausgerechnet Yasser Louati engagiert haben, den ehemaligen Sprecher des CCIF. Er ist nicht der einzige Autor mit bedenklichen Referenzen. Der Autor des litauischen Berichts, Birutė Sabatauskaitė, war von 2010 bis 2016 Vorstandsmitglied des European Network Against Racism (ENAR). Im selben Vorstand saß auch Intissar Kherigi, Tochter des Chefs des tunesischen Muslimbruderschaft-Ablegers ENNAHDA. Kherigi ist in mehreren Organisationen des Muslimbruder-Netzwerks aktiv.

Der Bericht über Großbritannien wurde von Arzu Merali verfasst. Merali arbeitet als wissenschaftlicher Leiter bei der Islamic Human Rights Commission (IHRC), einer islamistischen, manche sprechen von neo-khomeinistischen, Organisation mit Sitz in London, die in Verdacht steht, die libanesische Hizbollah zu unterstützen. Im Jahr 2015 verlieh die IHRC ihren „Islamophobe of the Year Award“ an die Redaktion von Charlie Hebdo – keine zwei Monate nach der Ermordung von 12 Mitgliedern eben dieser Redaktion durch Islamisten. Bei der Preisverleihung ließ es sich die IHRC nicht nehmen, sich darüber lustig zu machen, dass niemand aus dem Kreis der Preisträger zur Zeremonie erschienen sei. Arzu Merali wird, wie auch die übrigen Autoren des Reports, trotz seiner Zugehörigkeit zu einer derartigen Organisation von Farid Hafez als „prominent scholar“ gelobt.

Die Verflechtung der „Islamophobie“-Forschung mit islamistischen Organisationen und ihre Förderung durch diese zeigt sich auch am großen „Islamophobie“-Kongress in Sarajevo, der im vergangenen Jahr stattfand und auf dem Farid Hafez den European Islamophobia Report 2015 vorgestellt hat. Der Kongress, auf dem sich gleich mehrere Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft tummelten, wurde, genau wie der EIR, vom türkischen AKP-nahen Thinktank SETA organisiert und finanziert. Als einer von zwei wissenschaftlichen Beratern fungierte niemand anderer als Farid Hafez.

Der European Islamophobia Report ist ein Puzzlestein in der Propaganda-Strategie islamistischer Organisationen. Farid Hafez und Enes Bayraklı betreiben, finanziert und beworben von einem Thinktank aus dem Umfeld des türkischen Präsidenten, „Wissenschaft“ im Dienst des politischen Islam mit dem Ziel, politische Gegner als rassistisch und muslimfeindlich zu denunzieren. Was das gerade für die im Report erwähnten türkischstämmigen Politiker/innen, Journalist/innen und Wissenschaftler/innen bedeuten kann, sollte nach den vergangenen Monaten der Denunziation und Verfolgung von Erdogan-Gegnern in ganz Europa hinlänglich bekannt sein.

Von Nina Scholz und Heiko Heinisch
http://www.mena-watch.com/mena-analysen-beitraege/kampfbegriff-islamophobie-wissenschaft-im-dienste-des-politischen-islam/

 

(Heiko Heinisch: Historiker und Autor, lebt in Wien. Mitglied des Expert_Forum Deradikalisierung und Prävention der Stadt Wien. Projektleiter am Institut für Islamische Studien der Universität Wien. Er schreibt regelmäßig für das Online-Debattenmagazin Die Kolumnisten.

Nina Scholz: Politikwissenschaftlerin und Autorin, lebt in Wien. Forscht und publiziert zu den Themen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Islam und Menschenrechte. Zuletzt erschienen: Nina Scholz (Hrsg.): Gewalt im Namen der Ehre, Passagen Verlag Wien 2015.

Gemeinsame Publikationen: Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Passagen Verlag Wien 2012 und Charlie versus Mohammed. Plädoyer für die Meinungsfreiheit, Passagen Verlag 2016.)