Nach einem Auswahlprozess der Rabbinerfindungskommission und einem letzten öffentlichen Hearing vor dem Kultusvorstand und interessierter Gemeindemitglieder wurde der 43-jährige Rabbiner Jaron Engelmayer zum neuen Oberrabbiner von Wien gewählt.
Der Andrang war enorm, Dutzende Gemeindemitglieder waren der Einladung zur Sitzung des Kultusvorstands gefolgt, um den Kandidaten für das Amt des Oberrabbiners von Wien kennenzulernen. Rabbiner Jaron Engelmayer wurde von der Rabbinerfindungskommission einstimmig als neuer Oberrabbiner Wiens empfohlen. Vor den Mitgliedern des Kultusvorstands stellte er sich heute Abend den Fragen – auch aus dem Publikum.
Nach diesem Hearing hat der Kultusvorstand Rabbiner Jaron Engelmayer einstimmig zum neuen Oberrabbiner der IKG Wien bestellt. Dem vorausgegangen war ein mehrmonatiger internationaler Auswahlprozess durch die Rabbinerfindungskommission, in der Delegierte aller im Kultusvorstand vertretenen Fraktionen mit Sitz und Stimme beteiligt waren, wie Präsident Oskar Deutsch und Arnold Pollak, Vorsitzender des Tempelvorstands des Stadttempels betonten.
Die Kommission hatte nach Einlangen von sechs qualifizierten Bewerbungen bis 30. November 2019 drei Rabbiner zu Hearings nach Wien eingeladen. Rabbiner Engelmayer setzte sich dabei durch.
Bei den Fragen sowohl der Mandatarinnen und Mandatare als auch aus dem Publikum bemühte sich Rabbiner Engelmayer darzulegen, dass er zunächst die Gemeinde kennenlernen möchte, um dann auf konkrete Anliegen einzugehen. Dazu möchte er etwa das Instrument des Bürgerparlaments nutzen. Rabbiner Engelmayer wird mit August 2020 seinen Dienst als Gemeinderabbiner in Wien beginnen. Zum Oberrabbiner wird er einen Monat nach Amtsantritt, rechtzeitig vor den Hohen Feiertagen.
Unmittelbar nach der Kultusvorstandssitzung gewährte der designierte Oberrabbiner dem Gemeinde Insider ein erstes Interview.

Oberrabbiner Jaron Engelmayer hielt bereits als Gastrabbiner zu Rosh Haschana und Jom Kippur Drashot im Stadttempel: „Wir, meine Familie und ich, haben uns herzlich willkommen und sehr wohl gefühlt.“(Foto: Daniel Shaked)
Der designierte Oberrabbiner konnte einen Teil unserer Gemeinde vergangenen Herbst bereits kurz kennenlernen – und umgekehrt. Zu den Hohen Feiertagen war Engelmayer Gastrabbiner im Wiener Stadttempel. Begleitet wurde er bei seinem Wien-Besuch von seiner Ehefrau Hanna und den gemeinsamen fünf Kindern im Alter zwischen drei und 15 Jahren.
„Wir, meine Familie und ich, haben uns herzlich willkommen und sehr wohl gefühlt“, betont Engelmayer auf die Frage nach seinen ersten Eindrücken von der Wiener jüdischen Gemeinde. „Angetroffen haben wir einen sehr schön besuchten und lebendigen Stadttempel. Man konnte den Besuchern anmerken, dass sie gerne kommen und mit großem Interesse den Gebeten und Reden folgen.“ Dass zu den Feiertagen die Synagoge besser besucht ist als unter des Jahres sieht er als „keine Wiener Spezialität“, das sei vielerorts zu beobachten. „Mir als Rabbiner ist es natürlich ein besonderes Anliegen, dass sich die Besucher der Hohen Feiertage von der Atmosphäre angesprochen fühlen und dass sie Lust bekommen auch dazwischen immer wieder den Tempel aufzusuchen und darin ein bedeutendes und bereicherndes Erlebnis sehen.“
Rabbiner Jaron Engelmayer wurde 1976 in Zürich geboren, wo er auch aufwuchs. Er studierte in den USA an der Yeshiva University New York und in Israel, wo er auch den Militärdienst leistete, an der Jeschiwat Hesder in Ma’ale Adumin sowie am College Machon lehoraa Lifshitz in Jerusalem. 2002 wurde er durch das Oberrabbinat in Israel zum Rabbiner ordiniert – sowohl vom aschkenasischen als auch vom sefardischen Oberrabbiner Israels. Er verfügt auch über die „Smicha Jadin jadin“, darf also in der Diaspora als Dajan sowohl Gittin als auch Übertritte durchführen.
Nach seiner Ausbildung kehrte Rabbiner Engelmayer zunächst wieder nach Europa zurück und begann 2003 als Lehrer an der Lauder-Chorev-Midrascha in Frankfurt zu arbeiten. Von 2005 bis 2008 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde Aachen. Anschließend betreute er bis 2015 die Synagogen-Gemeinde Köln als Rabbiner. Von 2008 bis 2015 war er zudem Mitglied im Vorstand und Beirat der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland. 2015 übersiedelt er erneut nach Israel: Dort war er bis zuletzt als Gemeinderabbiner in Karmiel tätig. Den Wechsel nach Israel begründete er unter anderem damit, dass es in Köln keine weiterführende jüdische Schule für seine Kinder gab.
Als Rabbiner Engelmayer als Gastrabbiner in Wien war, porträtierte ihn der ORF
in der Sendung "Religionen der Welt", im Beitrag "Ein Rabbiner auf Besuch in Wien",
ausgestrahlt am 23. November 2019.
In Wien stellt sich dieses Problem nun nicht mehr. Insgesamt lobt der designierte Oberrabbiner die umfangreiche Infrastruktur der IKG Wien. „Die jüdische Gemeinde in Wien verfügt über eine im deutschsprachigen Raum einzigartige Verbindung zwischen einem breiten Spektrum an Juden, Synagogen und Tempelvereinen einerseits, ein ausgeprägtes religiös gelebtes Judentum mit einbezogen, andererseits über eine Dachgemeinde, unter welcher alle ihren Platz finden und somit in vielerlei Hinsicht als eine einheitliche Gemeinde strukturiert und repräsentiert sind.“
Dadurch biete sich für einen Rabbiner auch ein spannendes Aufgabenfeld, so der neue Oberrabbiner. „In einem Umfeld von säkularen, traditionellen, modern religiösen bis hin zu ultraorthodoxen Juden zu wirken und gleichzeitig die Vorzüge eines religiös stark ausgeprägten Angebotes, wie etwa die verschiedenen Erziehungsinstitutionen, das breite Koscher-Angebot, der ungezwungene Umgang mit sichtbarem religiösem Judentum, nutzen zu können, ist für Rabbiner wie mich besonders interessant.“ Für wichtig hält er dabei, „jeder Gruppierung ihre Eigenheit in autonomer religiöser Selbstbestimmung zuzugestehen. Säkularen Betenden wünsche ich ganz besonders, sich in der Synagoge wohl zu fühlen und den Tempel als ‚ihren’ zu sehen“.
Was könne er von seiner Rabbinertätigkeit in Deutschland und Israel für seine Arbeit in Wien mitnehmen? „In Deutschland sind die Gemeinden, in welchen ich tätig war, in mancherlei Hinsicht ähnlich wie in Wien, es handelte sich ebenfalls um Einheitsgemeinden in einem nichtjüdischen Umfeld und mit interreligiösen Kontakten. Die Gemeinden in Israel sind ganz anders strukturiert und somit sind auch die sich stellenden Aufgaben und Herausforderungen andere. Hilfreich war mir auf jeden Fall die Erfahrung, jede Aufgabe und Situation neu einzuschätzen und auszuloten, wo ich mich als Rabbiner mit meinem Wissen und meinen Erfahrungen sinnvoll und der Situation angepasst einbringen kann.“
(Redaktion, Gemeinde Insider)